Moderne Reproduktionsmedizin – Liberalisierungsprozesse als Zumutung an die Freiheit
Walter Schaupp
Karl-Franzens-Universität GrazAbstract
Die Novellierung des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes im Jahr 2015 kommt einem Liberalisierungsschritt in Sachen Reproduktionsmedizin gleich, der einige Techniken und Anwendungen freigibt, zugleich aber auch Grenzen setzt. Das neue Gesetz wird zum Anlass genommen, allgemein über die Dynamik liberaler Gesellschaften und über die Haltbarkeit einmal gezogener Grenzen in modernen Staaten zu reflektieren. Auch wenn bestimmte Techniken im eigenen Land verboten bleiben, werden sie meist doch in anderen Staaten angeboten und sind insofern „verfügbar“. Damit verlagert sich die Herausforderung für die ethische Reflexion immer stärker auf die Frage, wie die einzelnen Individuen in eigener Verantwortung mit den wachsenden Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin umgehen. Ein verantwortlicher Umgang muss sich der Tatsache stellen, dass die Reproduktionsmedizin tief in die Biographie gegenwärtiger und zukünftiger Menschen eingreift. Anders als oft behauptet haben Reproduktion und Fortpflanzung immer eine ganzheitliche Dimension und involvieren die Betroffenen früher oder später nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern auch emotional und personal. Eine individuelle Verantwortungsethik darf sich daher nicht nur auf die unmittelbar sichtbaren und erfahrbaren Konsequenzen beziehen, sondern möglichst umfassend vorgehen. Sie muss sich auch der diesen Techniken innewohnenden Tendenz zur Eskalation bewusst sein, der Gefahr, dass man Schritte setzt, die aus späterer Sicht nicht mehr verantwortet werden können.
Schlagworte:
Reproduktionsmedizin, Fortpflanzungsmedizin, Ethik, Liberalisierung, VerantwortungLiteraturhinweise
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